Das Ticken der Telomere: Das Geheimnis unseres Alterns liegt in den Zellen

Wie schnell ein Mensch altert, hängt nicht nur vom Kalender ab – auch die Biologie gibt Hinweise darauf, in welchem Zustand sich der Körper wirklich befindet. Einer dieser Hinweise liegt tief in unseren Zellen: die Telomere. Sie sitzen an den Enden der Chromosomen und schützen das Erbgut bei jeder Zellteilung. Mit der Zeit werden sie kürzer – und gelten deshalb als Marker für das biologische Altern. Zahlreiche Studien zeigen: Menschen mit kürzeren Telomeren sind häufiger krank, altern schneller und haben ein höheres Risiko für altersbedingte Erkrankungen.
Eine neue Untersuchung mit Daten von mehr als 350.000 Menschen aus Großbritannien untermauert diesen Zusammenhang nun erneut – und liefert im Fachblatt Neurology gleichzeitig eine positive Botschaft: Zwar hatten Menschen mit besonders kurzen Telomeren ein höheres Risiko für altersbedingte Erkrankungen des Gehirns wie Schlaganfälle, Demenz oder Altersdepressionen. Doch dieser Zusammenhang war bei jenen nicht zu beobachten, die gesund lebten, also etwa ausgewogen aßen und gute Blutdruck- sowie Cholesterinwerte aufwiesen.
„Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine gesunde Lebensweise die Alterung unserer Zellen verzögern und die Häufigkeit dieser Erkrankungen verringern könnte, insbesondere bei Menschen mit erhöhtem Risiko“, sagt der Studienautor Christopher Anderson von der Harvard Medical School laut einer Mitteilung.
Vergleich mit Schutzkappen am Ende von SchnürsenkelnWas Telomere so besonders macht: Sie spiegeln wider, welchen Belastungen Körper und Zellen im Lauf des Lebens ausgesetzt waren – etwa durch Stress, Umweltgifte oder ungesunde Ernährung. Forschende sprechen deshalb auch von einem „biologischen Gedächtnis“ der Zellen. Telomere sind nur einer von mehreren Faktoren, die beim Altern eine Rolle spielen – allerdings einer, für den sich mittlerweile nicht nur Altersforscher, sondern auch Herz- und Sportmediziner, Neurowissenschaftler und sogar Raumfahrtagenturen interessieren.
In ihrem Buch „Die Entschlüsselung des Alterns. Der Telomer-Effekt“ vergleichen Medizin-Nobelpreisträgerin Elizabeth Blackburn und die Psychologin Elissa Epel die kleinen Chromosomenkappen mit den Enden von Schnürsenkeln: „Je länger die Schutzkappen an den Enden der Schnürsenkel sind, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Schnürsenkel ausfranst.“ Übertragen auf den Menschen bedeute das: „Mit zunehmendem Alter werden die Telomere in sämtlichen Körperzellen immer kürzer, und dieser grundlegende Mechanismus trägt zu den meisten Alterskrankheiten bei.“
Blackburn hatte 2009 den Nobelpreis für die Entdeckung eines Enzyms bekommen, das Telomere wieder wachsen lässt und von ihr Telomerase getauft wurde. Dieses Enzym des Zellkerns wird von Stammzellen und Keimzellen benötigt, um ihre Teilungsfähigkeit zu erhalten und sich beliebig oft zu vermehren. In gesunden Körperzellen Erwachsener ist die Telomerase-Aktivität jedoch meist gering oder nicht vorhanden, weshalb diese Zellen nach einer begrenzten Anzahl von Teilungen absterben. Umso naheliegender scheint es, die auch „Untersterblichkeitsenzym“ genannte Telomerase künstlich zu erzeugen und so die Verkürzung der Telomere zu verhindern.
Mittel für längere Telomere könnten das Krebsrisiko erhöhenIn der Tat wird bereits an entsprechenden Gentherapien, etwa zur Behandlung von Herzkrankheiten, geforscht. Eher windig erscheinen hingegen die vor allem auf Social Media beworbenen Cremes und Nahrungsergänzungsmittel, die versprechen, die Chromosomenenden wieder zu verlängern. Auch Blackburn und Epel warnen in ihrem Buch vor solchen zweifelhaften Produkten: „Sollten diese Behandlungen tatsächlich wirken, könnten sie das Krebsrisiko erhöhen.“ In 80 bis 90 Prozent aller bösartigen Tumore sei die Telomerase hyperaktiv, hätten Studien gezeigt, die Konzentration sei zehn bis mehrere Hundert Mal so hoch wie in normalen Zellen.
Risikofreier ist es da, aufs Rauchen zu verzichten, Stress zu vermeiden, ausreichend zu schlafen, soziale Kontakte zu pflegen und ein gesundes Körpergewicht zu halten, um die Telomere zu schützen. Das haben zumindest mehrere Studien in der Vergangenheit nahegelegt. Ebenso wichtig scheint die Ernährung: Schon 2014 zeigte eine im British Medical Journal veröffentlichte Studie, dass insbesondere die mediterrane Kost mit reichlich Obst und Gemüse, viel Nüssen und Hülsenfrüchten sowie Vollkornprodukten und Olivenöl mit längeren Telomeren zusammenhängt. Ihre Autoren spekulierten damals, dass sich eine derartige Ernährung schützend auf oxidativen Stress und chronische Entzündungen im Körper auswirken könnte.
Vorteilhaft scheint sich auch eine an Omega-3-Fettsäuren reiche Ernährung auszuwirken, so das Ergebnis einer 2010 im Fachjournal Jama publizierten US-Studie. Diese stecken beispielsweise in fettreichem Fisch wie Lachs, Hering und Makrele oder pflanzlichen Samen, Nüssen und Ölen, darunter Chiasamen, Walnüsse oder Leinöl. Darüber hinaus gibt es entsprechende Nahrungsergänzungsmittel – wie auch für Vitamin D, das laut einer aktuellen Studie im American Journal of Clinical Nutrition ebenfalls beim Erhalt der Telomere hilft. Die gleiche Arbeit kam indes zu dem Schluss, dass Omega 3 keine signifikante Wirkung auf die Länge der Chromosomen-Schutzkappen hat.
Ausdauer- und Intervalltraining zeigen positive EffekteSolche Widersprüche machen deutlich, wie dynamisch die Forschung zu Telomeren derzeit ist: Während die eine Arbeit vor allem chronische Entzündungen und weniger Ernährung oder Lebensstil als ausschlaggebend für die Telomerlänge sieht, sieht die nächste ein gesundes Darmmikrobiom als zentral an. Weniger strittig scheinen die positiven Effekte von Sport zu sein. Diese machte etwa eine in Frontiers in Physiology veröffentlichte Übersichtsarbeit zu den körperlichen Auswirkungen von Ultramarathonläufen deutlich.
Beat Knechtle von der Universität Zürich und der griechische Physiologe Pantelis Nikolaidis analysierten darin, wie extreme Langzeitbelastungen verschiedene Körpersysteme beeinflussen – und entdeckten Hinweise darauf, dass sie möglicherweise dazu beitragen, die Telomere länger zu erhalten. „Insbesondere regelmäßiges Ausdauertraining scheint eine schützende Wirkung auf die Telomerlänge zu haben und sollte den Alterungsprozess verlangsamen“, so die Autoren.
Dafür sind indes vermutlich keine stundenlangen Laufeinheiten nötig, so das Fazit einer 2018 im European Heart Journal publizierten Studie. Darin wurden die Wirkung von Ausdauer-, Intervall- und Krafttraining auf Telomerase und Telomerlänge untersucht, wobei jede dieser Trainingsformen von den in drei Gruppen aufgeteilten 124 Probanden dreimal die Woche 45 Minuten ausgeübt wurde. Tatsächlich zeigten Ausdauer- und Intervalltraining schon mit diesem Trainingsvolumen positive Effekte, nicht aber das Stemmen von Gewichten. Obwohl mit einem gesundheitsorientierten Krafttraining insgesamt inzwischen viele positive Effekte auf die Gesundheit verbunden werden.
Ein weiterer Weg, um Telomere zu verlängern, erscheint ebenso unpraktisch wie faszinierend: Denn schon kurze Aufenthalte im All wirken sich auf die Länge der Telomere aus. Das zeigte eine Untersuchung zur Mission „Inspiration4“ des US-Raumfahrtkonzerns SpaceX, die im vergangenen Jahr als Teil eines großen Studienpakets in Zeitschriften der Nature-Gruppe publiziert wurde.
Welcher Mechanismus verlängert die Telomere beim Aufenthalt im All?Bei diesem Weltraumflug waren vier Laien drei Tage lang im „Dragon“-Raumschiff um die Erde gekreist. Das Schiff flog in einer Höhe von rund 580 Kilometern und damit höher als die Internationale Raumstation (ISS). Der Ausflug ins All sorgte bei den Kurzzeit-Raumfahrern für verlängerte Telomere. „Wahrscheinlich ist das eine Reaktion auf die Strahlenbelastung im All“, spekuliert Susan Bailey von der Colorado State University.
Bailey hatte diesen Effekt bereits in früheren Studien beobachtet, darunter der berühmten Nasa-Zwillingsstudie, die 2019 im Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht wurde. Für diese verglich ein Forschungsteam Biomarker von Astronaut Scott Kelly, der ein Jahr auf der ISS verbrachte, mit denen seines Zwillingsbruders Mark, der auf der Erde geblieben war.
Scotts Telomere verlängerten sich im All, schrumpften nach seiner Rückkehr aber wieder und waren zum Teil sogar kürzer als zuvor. Ähnliche Muster fand Bailey in einer separaten Untersuchung von Astronautinnen und Astronauten, die sechs Monate auf der ISS verbracht hatten, und eben auch bei den „Inspiration4“-Kurzzeitraumfahrern. „Woran das liegt, wissen wir noch nicht“, bedauert Bailey.
Zusammengenommen gebe es nun übereinstimmende Informationen über verschiedene Missionsdauern, so Bailey, die zu den Gründen für diesen Effekt nur mutmaßen kann: „Eines unserer Lieblingsmodelle ist, dass Strahlung Lymphozyten tötet, insbesondere solche mit kurzen Telomeren, da diese sehr strahlungsempfindlich sind.“
Telomere spiegeln Lebensstil wider – ob auf der Erde oder im WeltraumWährend diese verloren gingen, würden kontinuierlich mehr Stamm- oder Vorläuferzellen in den Kreislauf abgegeben, die längere Telomere haben, weil sie sich noch nicht so oft geteilt haben: „Ein Teil der Erklärung könnte also eine allgemeine Veränderung in der Dynamik der Zellpopulation sein. Ich denke, das macht viel mehr Sinn als die Annahme, dass Telomere im Weltraum irgendwie ‚wachsen‘“.
Insgesamt, so Bailey, nutze Forschung wie diese nicht nur der Raumfahrt, sondern potenziell auch den Menschen auf der Erde – so etwa durch die Entwicklung von Strahlenschutzvorrichtungen oder Fortschritte in der Anti-Aging-Forschung. Angesichts der Beobachtungen warnt sie aber auch vor falschen Hoffnungen: Längere Telomere im Weltraum mögen wie eine gute Sache oder ein Jungbrunnen erscheinen. Aber: „Eine verlängerte Lebensdauer oder Unsterblichkeit von Zellen, die durch Weltraumstrahlung DNA-Schäden erlitten haben, ist ein Rezept für ein erhöhtes Krebsrisiko.“
Solche DNA-Schäden zeigten sich bei Astronautinnen und Astronauten nach ihren Ausflügen ins All. „Telomere spiegeln wirklich unseren Lebensstil wider – egal ob auf der Erde oder im Weltraum“, so Bailey. Unsere Entscheidungen beeinflussten, wie schnell oder wie gut wir altern – umso wichtiger sei es, auf seine Telomere zu achten. (dpa/fwt, BLZ)
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