Magisches Blau: Forscher entwickeln Farbstoffe, die durch den Schädel leuchten


Philip Pikart; Bearbeitung NZZaS
Die Farbe Blau erfunden haben die Ägypter. Das legen uralte blaue Glasperlen nahe. Sie waren einem Grab beigelegt, das auf rund 3300 bis 3500 vor unserer Zeitrechnung datiert ist. Später wurde das Pigment auch in Hieroglyphen gefunden: Diese wurden etwa in die Unas-Pyramide in Sakkara eingeritzt und mit dem Farbstoff aufgefüllt. Die Pharaonen hatten offenbar einen unstillbaren Bedarf an sogenanntem «ägyptischem Blau». Gemäss Schätzungen benötigten sie rund 1,4 Tonnen, um damit einen einzigen Tempel zu dekorieren.
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Die alten Römer nannten das Pigment «caeruleum», was auf Lateinisch «Farbe des Himmels» bedeutet. Das älteste überlieferte Herstellungsrezept stammt von einem Architekten namens Vitruv. Er hielt rund 30 Jahre vor Beginn unserer Zeitrechnung fest: «Sand und Salz werden so fein gemahlen, dass ein mehlartiges Produkt entsteht. Kupfer wird mit groben Feilen wie Sägespäne über das Gemisch gerieben.»
Wenn sich Kupfer und Sand vereinenDann gelte es, von Hand Kugeln zu formen und sie in irdenen Gefässen in einen heissen Ofen zu stellen. «Sobald das Kupfer und der Sand [. . .] sich unter der Intensität des Feuers vereinen, nehmen sie gegenseitig den Schweiss auf», fährt Vitruv fort. «So verlieren sie ihre vorherigen Eigenschaften und erhalten eine blaue Farbe.»
Ohne diesen riesigen Aufwand war kein Blau zu haben. Das himmelfarbene Pigment versah Fresken und Mosaiken mit strahlend blauen Farbtönen, die man etwa in den frühsteinzeitlichen Malereien an den Höhlenwänden in Lascaux oder Altamira vergeblich sucht. Denn damals mussten sich die Menschen mit dem begnügen, was ihnen zur Verfügung stand. Das waren Ocker und Kohle. Blaue Farbstoffe gehörten nicht dazu, denn die sind selten.
Das hat damit zu tun, dass das Pigment blaues Licht reflektieren und gleichzeitig rotes Licht absorbieren muss. Rote Strahlen sind jedoch die langwelligsten Strahlen im sichtbaren Spektrum – und haben daher die geringste Energie. «Um solche Strahlen aufzunehmen, braucht es Moleküle mit speziellen Elektronenübergängen», sagt Robert Nissler von der ETH Zürich. In dem ägyptischen Blau und weiteren blauen oder violetten mineralischen Farbstoffen übernehmen Kupferionen diesen Job. «Sie sind die Leuchtzentren im Kristallgitter», sagt Nissler.
Der Nanowissenschafter hat mit Kolleginnen und Kollegen von der Universität Zürich, von der Empa und aus Deutschland mit einem ausgeklügelten Herstellungsverfahren grundlegend neue Farbpigmente hergestellt. Das neue Blau hat Potenzial, in der Forschung zu Schlaganfällen und bei der Überwachung der Haltbarkeit von Ersatzgelenken eine wichtige Rolle zu spielen. Das berichten die Forschenden im Fachmagazin «Advanced Materials».
Leuchten im InfrarotbereichAllerdings ging es dabei nur am Rande um die Farbe Blau. Im Fokus ihres Interesses liegt ein anderer Aspekt, der Altertumsforschern vor knapp 30 Jahren erstmals aufgefallen war: Das ägyptische Blau absorbiert nicht nur rotes Licht, sondern strahlt einen beträchtlichen Teil der aufgefangenen Energie im unsichtbaren Infrarotbereich wieder ab. Auch das chemisch damit eng verwandte «Han-Blau» aus dem alten China hat diese Eigenschaft. Das bedeutet: Die antiken Farbstoffe leuchten.
Deshalb sind sie mit Instrumenten, die Infrarotstrahlung sichtbar machen, einfach nachzuweisen – ohne die kostbaren antiken Fundstücke dabei beschädigen zu müssen. In ihrem Beitrag schreiben die Forschenden von «optisch aktiven» Molekülen. «Die Infrarotstrahlung macht das Spezielle und Einzigartige an diesen Farbstoffen aus», sagt Nissler.
An der Schnittstelle zwischen Licht und Materie wirken sich auch allerfeinste Abweichungen im Umfeld der Kupferionen auf den blauen Farbton und das Leuchten im Infrarotbereich aus. So enthält das etwas hellere ägyptische Blau zusätzlich Kalziumionen, das etwas mehr ins Violette schillernde Han-Blau hingegen enthält Bariumionen, die ein bisschen grösser sind – und dadurch das Kristallgitter leicht verzerren.
Die Flammensynthese: hochmodern und alchemistisch zugleichZur Herstellung der neuen Farbpigmente setzten die Fachleute auf ein Verfahren, das es erst seit zwanzig Jahren gibt. Obwohl die Methode also hochmodern ist, mutet sie wie ein wahres alchemistisches Farbenspiel an: Bei der sogenannten Flammensynthese verwandeln sich grüne Säfte in blaues oder violettes Pulver.
In einem ersten Schritt lösen die Forscher die Erdalkalimetalle wie Kalzium, Barium oder Strontium in organischen Lösungsmitteln auf. Diese grünen Flüssigkeiten spritzen sie dann in eine mehrere tausend Grad heisse Flamme. In dieser Hitze verdampfen die Lösungsmittel augenblicklich.
Übrig bleiben die Erdalkalimetalle, die sich auf dem Filter über der Flamme zu winzigen, blaugrünen Körnern zusammenklumpen. Diese rund 30 Nanometer kleinen Klumpen kommen dann für zehn Minuten in einen rund tausend Grad heissen Ofen, wo sich schliesslich die Mineralien bilden – und die kristallinen, blauen oder violetten Pigmente entstehen.
Im Unterschied zu herkömmlichen Produktionsverfahren könne man bei der Flammensynthese die verschiedenen Erdalkalimetalle im Pigment fast beliebig miteinander kombinieren, erklärt Nissler. Die Forschenden haben so Dutzende von neuen Farbstoffen hergestellt. Sein Lieblingsfarbton – ein «besonders intensives Dunkelblau» – entstehe etwa bei einer Kombination von Barium und Strontium zu gleichen Teilen, meint der Nanowissenschafter.
In ihren Untersuchungen haben die Fachleute an weiteren Stellschrauben im Herstellungsverfahren gedreht – und so etwa gesehen, dass die Temperatur des Ofens und auch die Aufenthaltsdauer im Ofen den Farbton der entstehenden Pigmentkristalle bestimmen. Auch die Frequenzen, in denen die Pigmente im Infrarotbereich leuchten, hängen von diesen Parametern ab.
Je heller und langwelliger, desto besserDabei gilt: Je heller und langwelliger das Leuchten im Infrarot, desto besser. Denn ab einer Wellenlänge von rund 1000 Nanometern öffnet sich ein sogenanntes Transparenzfenster: Strahlung von dieser Wellenlänge durchdringt biologisches Gewebe, ohne vom roten Hämoglobin oder vom Wasser absorbiert zu werden. So kann sie am anderen Ende des Körpers abgefangen und zur Bildgebung genutzt werden.
Tatsächlich sind die Fachleute auf eine Mischung der drei Metalle gestossen, mit der sie «ultrahelle» Pigmente herstellen, die genau in der gewünschten Wellenlänge leuchten. «Mit der neuen Methode haben wir ein Material hergestellt, das zehn Mal so hell leuchtet wie die gegenwärtig verfügbaren Pigmente», sagt Nissler.
Die Forschenden sind überzeugt, dass sich das neue Material als eine Art Kontrastmittel eignen könnte. Sie haben die Pigmente in Wasser gelöst – und ins Blut von Mäusen gespritzt. Der Farbstoff leuchtete gleichermassen durch den intakten Schädel der Mäuse hindurch. Mit Infrarotkameras konnten die Forschenden so nicht nur beobachten, wo die Blutgefässe im Hirn genau durchlaufen, sondern auch, wie rasch das Blut durch diese Gefässe fliesst.
Solche Informationen seien etwa für die Schlaganfallforschung wichtig, führt Nissler aus. Sie könnten etwa darüber Auskunft geben, wie rasch sich der Blutfluss wieder einpendelt, wenn man ein Gerinnsel auflöst und so den verstopfenden Pfropfen entfernt. Nissler hat auch schon eine andere mögliche Anwendung im Kopf. Die Partikel könnten zum Beispiel auch Hüft- oder Knieprothesen aus Keramik beigefügt werden. Wenn sich beim Verschleiss kleine Teilchen von der Prothese lösen, könnten Chirurgen sie mit Infrarotkameras leicht aufspüren und entfernen.
Noch sind diese Optionen Zukunftsmusik. Vorerst wollen die Fachleute – mit einer Gruppe, die sich an der Empa mit Nanotoxizität beschäftigt – prüfen, wie giftig die leuchtend blauen Pigmente sind. Bis die Weiterentwicklung des ägyptischen Blaus also Menschen in gesundheitlicher Not hilft, dürfte es noch ein Weilchen dauern. Auf diese Wartezeit kommt es aber nach mehr als 5000 Jahren auch nicht mehr gross an.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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