So kommt das Kirscharoma ins Joghurt


Illustration Simon Tanner / NZZ
Leserfrage: Wenn ich Joghurt oder Bonbons mit Kirscharoma esse, scheint mir der Geschmack immer weit weg von echten Kirschen. Ist es besonders schwierig, Kirscharomen herzustellen?
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Wie entsteht ein Joghurt mit Kirscharoma? Man stellt das Aroma selbst her, indem man ein Naturejoghurt mit entkernten Kirschen ergänzt – zur entsprechenden Saison oder mit Kirschen aus dem Tiefkühler. Wem das zu wenig geschmacksintensiv ist, der wird im Laden zu Produkten mit Kirscharoma greifen.
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Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie das Aroma ins Produkt kommt. So können Aromen verwendet werden, die aus natürlichen Rohstoffen hergestellt werden. Das kann auch biotechnologisch geschehen: Enzyme oder Bakterien produzieren die entsprechenden Aromamoleküle. Diese werden so kombiniert, dass zum Beispiel ein kirschartiges Aroma entsteht. Neben natürlichen gibt es auch synthetische Aromastoffe. Die nötigen Moleküle dazu werden künstlich im Labor hergestellt.
Eine Frage des PreisesWelchen dieser Wege die Lebensmittelindustrie bei einem Produkt einschlägt, hängt unter anderem davon ab, wie teuer die natürlichen Rohstoffe sind. Je natürlicher, desto kostspieliger wird es. «Echte Kirschen zu verwenden, um etwa ein Joghurt oder eine Eiscrème zu aromatisieren, wäre kaum bezahlbar», sagt Martin Steinhaus. An der Technischen Universität München leitet er die Arbeitsgruppe Aromachemie.
Wie wir das Aroma eines Produkts wahrnehmen, hängt nicht nur von den Aromastoffen ab, die bei der Herstellung verwendet wurden. Denn gleichzeitig enthält ein Produkt meist zahlreiche weitere Zutaten. «Eine wesentliche Rolle spielt etwa, wie süss, sauer, salzig oder fetthaltig ein Lebensmittel ist», sagt Julia Hermine Hoffmann, wissenschaftliche Leiterin beim Deutschen Verband der Aromenindustrie. «Dasselbe Fruchtaroma schmeckt zum Beispiel in einem sauren Joghurt völlig anders als in einer neutralen Milch. Fehlt die richtige Säure, kann ein Lebensmittel fade oder weniger nach echter Frucht schmecken.»
«Ein Kirscharoma ist nicht grundsätzlich schwieriger zu imitieren als das Aroma anderer Früchte», sagt Steinhaus. Es sei nicht komplexer als etwa das Aroma von Erdbeeren. Ein natürliches Fruchtaroma werde durch rund zehn bis fünfzehn Hauptbestandteile hervorgerufen. Wolle man es nachahmen, komme je nach Hersteller, Produkt und Zielgruppe eine andere Rezeptur zur Anwendung. «Das eine Kirscharoma gibt es nicht – so wie bei anderen Früchten auch nicht», sagt Steinhaus. Das entspreche auch der Natur, in der sich Kirschen je nach Sorte, Anbaubedingungen und Reifegrad durch unterschiedliche Aromen auszeichneten.
Ein typischer Bestandteil von Kirscharoma in Lebensmitteln ist Benzaldehyd. Diese organische Verbindung lässt sich kostengünstig herstellen und ist auch in anderen Pflanzen und daraus hergestellten Produkten zu finden. So enthalten etwa Mandeln und gewisse Hustenmittel Benzaldehyd. Kirscharoma mag deshalb bisweilen an andere Produkte erinnern. «Das ist aber bei jeder Frucht möglich. Jeder Mensch nimmt Aromen aufgrund seiner persönlichen Vorlieben und Erfahrungen unterschiedlich wahr», sagt Hoffmann.
Zudem gebe es unterschiedliche Vorlieben für Aromen je nach Land sowie kulturellen Hintergründen und klimatischen Bedingungen. So würden in wärmeren Ländern Aromen anders wahrgenommen als in kühleren Ländern. Ausserdem erwarte zum Beispiel ein Konsument von Bioprodukten, die mit Natürlichkeit werben würden, ein anderes Geschmackserlebnis als ein Publikum, das mit knallig-bunten Produkten angesprochen werde.
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Hinzu kommt: Wie wir ein Produkt insgesamt geschmacklich wahrnehmen, dabei spielt auch der Geruch eine zentrale Rolle. «Der Geruchssinn ist wichtiger als die Empfindung über unsere Geschmacksrezeptoren auf der Zunge», sagt der Aromachemiker Steinhaus: «Wir unterscheiden etwa die Erdbeere von der Kirsche über den Geruch. Denn über den Geschmackssinn nehmen wir bei beiden Früchten nur Süss und Sauer wahr.»
Der Geruchssinn aber ist bei jedem Menschen individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt – dies geht bis auf die genetische Ebene. So gibt es genetische Mutationen, die dazu führen, dass Rezeptoren für bestimmte Gerüche weniger gut funktionieren. Ausserdem spielen genetisch bedingte Geschlechterunterschiede mit, wie aktuelle Studien zeigen.
Erscheint unserem Leser das Kirscharoma in seinem Joghurt oder in den Bonbons zu künstlich, sollte er verschiedene Produkte und Hersteller testen. Oder eben doch das Naturejoghurt selbst mit Kirschen aromatisieren. Denn klar ist: Die Geschmäcke sind verschieden.
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