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Pandemie aus dem Labor: Virenforschung birgt Risiken und Nebenwirkungen

Pandemie aus dem Labor: Virenforschung birgt Risiken und Nebenwirkungen
Der Laborkittel schützt Forscher vor Spritzern von Chemikalien oder Krankheitserregern.

Falls die Corona-Pandemie das Resultat eines Laborunfalls war, dann war es der schlimmste Unfall in der Geschichte der Menschheit. 7 Millionen Tote, mehrere Billionen Dollar wirtschaftlicher Schaden, monatelange Lockdowns auf der ganzen Welt: Selbst der Reaktorunfall von Tschernobyl verblasst daneben.

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Dass das Coronavirus tatsächlich aus einem Labor in Wuhan entkam, dafür fehlen nach wie vor die Beweise, ebenso wie für einen natürlichen Ursprung. Was bleibt, ist die fundamentale Frage: Tun wir genug, um eine Pandemie aus dem Labor zu verhindern?

Riskante Experimente

Laut Präsident Trump lautet die Antwort offenbar Nein. Die Corona-Pandemie sei das Resultat von gefährlicher Forschung, steht auf der neuen Website der US-Regierung zu Covid-19. Nun zieht Trump Konsequenzen. Per Executive Order hat er am Montag die Finanzierung von «gefährlicher Gain-of-Function-Forschung» stark eingeschränkt. Insbesondere in Länder wie China dürfen für diese Zwecke keine Gelder mehr aus den USA fliessen.

Unter Gain-of-Function-Forschung versteht man Experimente, bei denen Krankheitserreger Funktionen hinzugewinnen, die sie gefährlicher machen. Das kann etwa eine bessere Übertragbarkeit über die Luft sein oder die Fähigkeit, dem Immunsystem besser auszuweichen.

Die Debatte über diese Art von Forschung wird bereits seit einigen Jahren geführt. 2011 hatte der niederländische Virologe Ron Fouchier im Labor Vogelgrippeviren besser an Säugetiere angepasst, indem er immer wieder Frettchen mit dem Virus infizierte. Das tödliche Virus liess sich durch den Eingriff der Forscher besser zwischen Tieren übertragen, eine Fähigkeit, die es womöglich zu einem Pandemievirus machen könnte. Fouchier selbst bezeichnete das entstandene Virus gegenüber dem Journal «Science» als «wahrscheinlich eines der gefährlichsten Viren, die man kreieren kann».

Die Forschung sorgte für Furore. Die USA verhängten daraufhin eine vier Jahre andauernde Sperre für vergleichbare Forschung. Während Trumps erster Amtszeit 2017 wurde die Sperre aber wieder aufgehoben.

Wissenschafter seien seither mit solchen Forschungsprojekten sehr vorsichtig, sagt die Virologin Silke Stertz. Sie ist Professorin für Virologie an der Universität Zürich und dort auch als Beauftragte für Biosicherheit tätig. Für Sicherheit im Labor zu sorgen, nimmt einen grossen Teil ihrer Zeit ein, «weil es eben sehr wichtig ist», sagt sie.

Sie findet es ein Problem, dass Forschung wie die von Fouchier nicht mehr stattfindet. Solche Experimente könnten helfen zu verstehen, was Grippeviren leicht zwischen Menschen übertragbar mache – dieses Wissen fehle nach wie vor. Deshalb seien die in verschiedenen Tieren zirkulierenden Viren schwierig zu überwachen, und es lasse sich kaum frühzeitig detektieren, wenn ein neuer Virenstamm gefährlich werde. «Das Risiko des Nichtwissens ist viel grösser als das Risiko, solche Experimente unter hohen Sicherheitsbedingungen durchzuführen», sagt Stertz.

Welche Schutzmassnahmen für welches Experiment?

Tatsächlich kommt es immer wieder zu Zoonosen, bei denen Erreger von Tieren auf den Menschen überspringen. Auf diese Weise sind historisch schon häufig Pandemien entstanden, von der Spanischen Grippe bis zur Pest. In so einem Falle bildet Forschung die Basis für einen effektiven Schutz der Bevölkerung: Je besser Wissenschafter einen Erreger bereits verstehen, umso schneller lässt er sich eindämmen, behandeln, mit einer Impfung verhindern.

Dass diese Forschung an Krankheitserregern potenziell riskant sein kann, ist Wissenschaftern bewusst. Nicht umsonst gibt es in jedem Labor Schutzmassnahmen. Dabei gilt das Prinzip: Je gefährlicher der Erreger, umso umfangreicher der Schutz.

Während Forscher bei der Arbeit mit dem einen Erreger genügend geschützt sind, wenn sie Kittel und Handschuhe tragen, brauchen sie bei einem anderen einen Ganzkörperanzug mit gefilterter Luftversorgung. Auch wie stark das Labor von der Umwelt abgeschottet ist, variiert stark. Auf der höchsten Sicherheitsstufe sind die Labore hermetisch von der Aussenwelt abgeriegelt, nichts darf hinein- und wieder hinaustransportiert werden, Mitarbeiter können das Labor nur durch eine Dusche verlassen, in der sie sich sorgfältig am ganzen Körper waschen.

Besonders gefährlich wird es dann, wenn das von einem Experiment ausgehende Risiko als niedriger eingeschätzt wird, als es tatsächlich ist.

Das werfen Kritiker dem Labor in Wuhan vor. Befürworter der Hypothese, dass das Coronavirus aus dem Labor in Wuhan stammt, argumentieren häufig, dort seien Experimente auf einer zu niedrigen Sicherheitsstufe durchgeführt worden.

Anfang März warnten die Virologen Ian Lipkin und Ralph Baric in der Zeitung «New York Times» gar vor «alarmierender Virusforschung», die am Institut in Wuhan noch immer stattfinde. Aus einer Forschungspublikation der Wissenschafter in Wuhan schlossen Lipkin und Baric, dass dort mit potenziell für den Menschen tödlichen und hochansteckenden Viren nur auf der zweiten von vier möglichen Sicherheitsstufen gearbeitet werde. Das sei nicht ausreichend, schreiben sie.

Es gibt keine international bindenden Regeln

Doch die Forscher in Wuhan haben keinerlei Regeln oder Gesetze verletzt. Denn welche Experimente auf welcher Sicherheitsstufe durchgeführt werden, entscheidet ein lokales Komitee – in diesem Fall also Beauftragte für Biosicherheit am Institut in Wuhan. Diese haben die vorgeschlagenen Experimente bei diesen Sicherheitsvorkehrungen gutgeheissen.

Vonseiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gibt es zwar detaillierte Richtlinien und Empfehlungen dazu, wie die Sicherheit von Forschung gewährleistet werden kann. Doch international bindend sind diese Regeln nicht. Stattdessen haben die meisten Länder ihre eigenen Gesetze, die regeln, wie genau diese Empfehlungen umgesetzt werden und wer ihre Umsetzung überprüft. Daran wird auch Trumps neuste Executive Order wenig ändern. Denn diese greift nur für Forschung, die mit amerikanischen Fördermitteln betrieben wird.

Im ersten Moment klingt das fahrlässig. Doch tatsächlich ist es kaum möglich oder sinnvoll, Fragen der Biosicherheit weltweit einheitlich zu entscheiden. Denn das einfache Prinzip «Je gefährlicher der Erreger, desto höher die Sicherheitsstufe» ist weniger eindeutig, als es klingt.

Wissenschafter verändern im Rahmen ihrer Forschung ständig Erreger. Gain-of-Function-Forschung, bei der Erreger gefährliche neue Fähigkeiten erlangen, ist dabei sehr selten. Viel häufiger «amputieren» Forscher einen Erreger gezielt, so dass er sich nicht mehr vermehren kann und weniger gefährlich ist. Hinzu kommt, dass Wissenschafter regelmässig mit neuen Varianten von Erregern arbeiten. Das können neue Virusproben aus einer Fledermaushöhle in China sein oder schlicht ein altbekannter Erreger mit einer einzigen neuen Mutation.

Um das Risiko und entsprechend die angebrachten Sicherheitsvorkehrungen sinnvoll zu bestimmen, muss daher letztlich jedes Forschungsvorhaben individuell bewertet werden.

Wie riskant ist zu riskant?

Und es gibt noch ein weiteres Problem: Selbst in Hochsicherheitslaboren gab es in der Vergangenheit bereits Ausbrüche von Krankheitserregern.

2003 infizierte sich eine Studentin in einem Hochsicherheitslabor in Peking mit dem Sars-1-Virus und steckte ihre Mutter an, die daran starb. Ein Ausbruch der Maul- und Klauenseuche unter Kühen im Vereinigten Königreich 2007 geht wahrscheinlich auf ein Labor einer Pharmafirma zurück. Und selbst Sars-CoV-2 ist nachweislich einmal aus einem Labor entkommen. Im November 2021, fast zwei Jahre nach Beginn der Pandemie, steckte sich eine junge Forscherin in einem Hochsicherheitslabor in Taiwan mit einer Virusvariante an, die zu diesem Zeitpunkt in Taiwan gar nicht zirkulierte.

Diese Ausbrüche liessen sich auf Mängel in der Infrastruktur oder schlecht eingehaltene Sicherheitsregeln zurückführen. So sorgen letztlich menschliche Fehler selbst unter den höchsten Sicherheitsvorkehrungen für ein Restrisiko, dass ein Erreger aus dem Labor entkommt.

Sollte man besonders riskante Forschung also komplett verbieten? Es ist eine Frage der Abwägung ähnlich dem sogenannten «Trolley»-Problem: Ein Waggon rollt auf einem Gleis auf eine Gruppe Menschen zu, die durch die Kollision zu Tode kommen würden. Das sind die Pandemien natürlichen Ursprungs, die jederzeit drohen. Durch das Umlegen eines Hebels lässt sich die Bahn des Waggons verändern. Das ist die Forschung, die uns vor den schlimmsten Folgen einer Pandemie schützen kann. Aber auch auf der neuen Bahn überfährt der Waggon womöglich Menschen – falls durch einen Unfall im Labor eine Krankheit ausbricht, die es sonst gar nicht gegeben hätte.

Durch sorgfältiges Arbeiten, umfassende Schutzmechanismen und strenge Kontrollen im Labor lassen sich die Risiken der Forschung minimieren. Eine klare Lösung, wie man ihre Vorteile komplett ohne die Risiken bekommen könnte, kann bis jetzt aber niemand liefern.

nzz.ch

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