Suizidprävention in Deutschland: Menschen werden zu oft allein gelassen

Mehr als 10.000 Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr durch Suizid. Das sind mehr Todesfälle, als es durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen zusammengerechnet gibt. Hinzu kommen jährlich mehr als 100.000 Suizidversuche, gibt das Nationale Suizidpräventionsprogramm bekannt.
Das könnte in einigen Fällen verhindert werden. Denn wenn Menschen in akuten Krisensituationen Hilfe bekommen, kann das Selbststötungen verhindern. Zum Welttag der Suizidprävention an diesem Mittwoch, 10. September, haben Experten und Expertinnen auf die Unterfinanzierung von Hilfsprogrammen in Deutschland hingewiesen.
Das Motto des Weltsuizidpräventionstages in diesem Jahr lautet „Changing the narrative on suicide. Offen reden – aktiv verstehen – gesellschaftlich handeln.“ „Dieses Motto verdeutlicht, dass der Suizid weltweit mit einem Tabu belegt ist, das zu Sprachlosigkeit, Verständnislosigkeit und mangelndem gesellschaftlichen Handeln führt”, sagte Barbara Schneider, Leitungsmitglied des Nationales Suizidpräventionsprogramms (NaSPro) auf einer Pressekonferenz. „Immer noch fehlen vielen Menschen die den Suizid erwägen, Möglichkeiten, ihre Probleme und Belastungen aus- und anzusprechen und damit die Hilfe zu finden, die notwendig ist.“
Die Hintergründe seien vielfältig: Scham und Angst vor Ablehnung und Abweisung spielten oftmals eine große Rolle. „Aber auch die den Betroffenen nahestehenden Menschen haben häufig ganz ähnliche Gefühle, fühlen sich beschämt, wirkungslos und schuldig, wodurch das Gespräch mit ihren suizidalen Verwandten und Freunden oftmals erstirbt, bevor es beginnen kann“, so Schneider. „Offen reden“ und „aktiv verstehen“ seien daher wichtige Bausteine bei der Suizidprävention. Wichtig seien aber auch niedrigschwellige Hilfangebote.
Es gebe zwar Aktivitäten zur Suizidprävention in ganz Deutschland, sagte Reinhard Lindner, ebenfalls Mitglied der NaSPro-Leitung. Wichtig sei aber, dass „auch die politisch Verantwortlichen das Thema auf der Agenda halten.“ Im vergangenen Jahr sei ein Suizidpräventionsgesetz vorbereitet worden. Das war allerdings vor dem Regierungswechsel. Die Finanzierung sei ohnehin schon damals unklar gewesen. Für die neue Bundesregierung ergebe sich nun die Chance, das Problem „noch einmal breiter anzugehen.“
„Die Suizidprävention ist ein Thema des aktuellen Koalitionsvertrags und wird unter Federführung des Bundesgesundheitsministeriums erneut aufgegriffen. Soweit wir informiert sind, fanden Gespräche auf der Ebene der beteiligten Bundesressorts und mit den Ländern statt. Hier bleibt allerdings derzeit unklar, ob alle Beteiligten auch realisieren, dass eine gelingende Suizidprävention nicht zum Nulltarif zu haben ist”, sagte Lindner.
Immerhin würden bereits einige wichtige Projekte gefördert. Wie zum Beispiel die Entwicklung eines E-Learning-Programms zur Suizidprävention im Gesundheitswesen, oder die Vorbereitung eines Registers zur Erfassung assistierter Suizide. „Diese positiven Entwicklungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es leider immer noch einen erheblichen Mangel an gelingender Suizidprävention in Deutschland gibt“, sagte Lindner. Schnell erreichbare Angebote auch außerhalb der Psychiatrie seien nicht ausreichend finanziert und Menschen in suizidalen Krisen würden „immer noch nicht schnell genug gut informierte Hilfe mittels Telefon- und internetbasierter Hilfetelefon erhalten.“
Ein relativ neues Projekt zur Suizidprävention in Deutschland ist Mano. Die Internetplattform bietet seit drei Jahren eine niedrigschwellige und anonyme Onlineberatung für Menschen mit Suizidgedanken. Die Beratung erfolgt dabei durch speziell ausgebildete und von Fachpersonen eng begleitete Ehrenamtliche. Das Programm werde gut angenommen, erklärte Diana Kotte, Vorstandsmitglied bei Mano. Seit der Gründung habe man 200 Personen beraten und es habe insgesamt 2000 Beratungskontakte gegeben. Doch genau das wurde nun zum Problem: Denn Mao kann dem Ansturm der Hilfesuchenden schon bald nicht mehr gerecht werden.
„Obwohl unsere 35 ehrenamtlichen Beraterinnen und Berater tun, was sie können, ist die Nachfrage deutlich höher als das, was wir bei Mano derzeit anbieten können”, sagte Kotte. „Konkret bedeutet das, dass wir in circa 90 Prozent der Zeit keine neuen Ratsuchenden mehr in die Beratung aufnehmen können. Sie müssen sich das so vorstellen, dass ein suizidgefährdeter Mensch auf der Suche nach Hilfe die Homepage von Mano besucht und dort mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit den Hinweis vorfindet, dass aktuell keine freien Beratungsplätze vorhanden sind.“
Das Programm könne nur mit einer entsprechenden Finanzierung ausgebaut werden. „Denn auch, wenn die Beratung bei Mano durch Ehrenamtliche erfolgt, verlässt keine Beratungsnachricht unsere Plattform, ohne dass eine hauptamtlich tätige Fachperson diese gesichtet und freigegeben hat. Ohne mehr hauptamtliches Fachpersonal können wir daher keine zusätzlichen ehrenamtlichen Beraterinnen und Berater tätig werden lassen“, erklärte Kotte. Derzeit sei sogar fraglich, ob es Mano im kommenden Jahr überhaupt noch geben werde. Die Finanzierung über die ARD-Fernsehlotterie endet Anfang 2026. Nun sei die Politik gefragt, das Projekt ausreichend auszustatten und fortbestehen zu lassen.
Die Expertinnen und Experten benennen auch die Bereiche, die sie für besonders wichtig halten: Sie fordern zum einen die flächendeckende, ausreichende Finanzierung von niedrigschwelligen Hilfsangeboten zur Suizidprävention wie Mano und ähnlichen Angeboten. Darüber hinaus die Einrichtung eines rund um die Uhr erreichbaren Hilfetelefons zur Suizidprävention, das sowohl Menschen mit Suizidgedanken Beratung anbietet, als auch deren Angehörigen sowie Personen, die Unterstützung beim Umgang mit Menschen mit Suizidgedanken benötigen.
Zudem müsse die Arbeit des Nationalen Suizidpräventionsprogramms gefördert werden - einem unabhängigen Netzwerk von Fachpersonen und gesellschaftlichen Institutionen, die Suizidprävention betreiben. Die Haushalte des Bundes und der Länder müssten in 2026 ausreichende Mittel für diese Maßnahmen beinhalten, so der Appell. Es gelte jetzt „konkrete Hilfen für suizidgefährdete Menschen bereitzustellen“, damit nicht der Weg in den Tod sondern in das Leben möglich werde.
Hilfsangebote bei Suizidgedanken: Die Telefonseelsorge Deutschland ist rund um die Uhr unter den Rufnummern 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222 oder 116 123 kostenlos erreichbar. Kinder und Jugendliche können sich an die „Nummer gegen Kummer“ unter 116 111 wenden.
Eine kostenlose anonyme Onlineberatung für Menschen ab 26 Jahren mit Suizidgedanken bietet die derzeit allerdings stark ausgelastete Plattform Mano an, speziell für junge Menschen bis zum Alter von 25 Jahren gibt es ebenfalls ein Online Angebot zur Suizidprävention.
rnd