Wieder einmal behauptet Google, ein Quantencomputer habe einen Supercomputer überflügelt. Wenn sich das nur beweisen liesse

Quantencomputer und herkömmliche Computer liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Immer wenn Erstere einen Vorsprung haben, holen Letztere auf. Werden Quantencomputer überschätzt?
Christian J. Meier

«Der Quantencomputer hat starke Konkurrenz», sagt Andreas Wallraff. Der Quantenphysiker der ETH Zürich weiss, wovon er spricht: Er arbeitet daran, Quantencomputer so zu verbessern, dass sie eines Tages Aufgaben in Minuten lösen, an denen heutige Superrechner Jahre knabbern würden.
NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.
Bitte passen Sie die Einstellungen an.
Zumindest lautet so das Versprechen, das Entwickler von Quantencomputern seit Jahren geben. Google hat in den vergangenen Jahren mehrfach behauptet, mit seinen Quantencomputern spezielle Probleme schneller gelöst zu haben als klassische Rechner – also einen Quantenvorteil erzielt zu haben. Erst kürzlich berichtete die Firma auf ihrem Forschungs-Blog, ihr Quantenchip «Willow» habe eine Aufgabe 13 000-mal so schnell gelöst wie der zweitschnellste Supercomputer der Welt. Der Algorithmus lässt sich etwa nutzen, um Moleküleigenschaften wie Atomabstände zu berechnen.
Auch andere, etwa die kanadische Firma D-Wave Systems, haben bereits Quantenvorteile beansprucht. Doch wurden die Behauptungen rasch entkräftet. Entweder zeigten Forscher, dass verbesserte klassische Algorithmen ähnlich schnell sind, oder die Aufgaben waren ohne praktischen Nutzen. Auch Googles jüngster Quantenvorteil stösst auf Kritik: Ein Gutachter verweist auf eine KI-Methode, die das Problem wohl ähnlich schnell lösen könnte und von Googles Team beim Vergleich unbeachtet blieb.
Ein Quantenvorteil gilt bis zum Beweis des GegenteilsIst der Hype um den Quantencomputer also nur heisse Luft? Nein, findet Scott Aaronson: «Das ist der normale wissenschaftliche Prozess – die einen behaupten einen Quantenvorteil, die anderen versuchen, ihn zu widerlegen», sagt der Informatiker von der University of Texas, der die Erforschung von Quantencomputern kritisch beobachtet. «Ein Quantenvorteil sollte als falsifizierbare Hypothese gelten», schreiben auch Olivia Lanes und Kollegen von IBM. In einem Artikel erklären sie, was «Quantenvorteil» eigentlich heisst und wie er sich nachweisen lässt. Diese Fragen sind selbst Gegenstand der Forschung.
«Quantenvorteil bedeutet, dass ein Quantencomputer ein Problem effizienter löst – also schneller oder kostengünstiger», sagt Andreas Wallraff. «Massstab sind die leistungsstärksten Supercomputer. Die Latte hängt also sehr hoch.» Während Supercomputer immer schneller werden, kämpfen Physiker noch mit der Fehleranfälligkeit von Qubits, also den kleinsten Rechenelementen von Quantencomputern.
Noch gelingt es nicht, die Fehler mit zusätzlichen Qubits so effektiv zu korrigieren, dass Quantencomputer über längere Zeit stabil laufen. Das schränkt sie in ihrer Leistungsfähigkeit stark ein. Der Vergleich mit Superrechnern ist also etwas unfair, wie ein Rennen zwischen einem ausgereiften Rennwagen und einem Prototyp.
Trotz fehlerbehafteten Qubits versuchen Forscher, nützliche Berechnungen durchzuführen. Sie suchen Aufgaben, die klassische Computer nur schwer bewältigen, Quantencomputern aber gut liegen. Dazu gehören etwa quantenchemische Simulationen von Molekülen für die Wirkstoffentwicklung oder Optimierungsprobleme in Logistik und Verkehr. Neben vielen akademischen Gruppen arbeiten weltweit über 200 Startups an Quantencomputern. Für sie böte ein nachgewiesener Quantenvorteil die Möglichkeit, sich zu profilieren.
Scott Aaronson beklagt, dass dabei «falsche Behauptungen» gemacht würden – etwa dass ein Quantenvorteil bewiesen sei. Das aber ist kaum möglich, da es an etablierten Bewertungsmassstäben fehlt. Dadurch bleibt stets Interpretationsspielraum.
«Eine Möglichkeit, einen Quantenvorteil zu bestätigen, ist die Wiederholung des Ergebnisses auf dem Quantencomputer einer anderen Gruppe», sagt Wallraff. «Doch nicht jeder verfügt über so fortgeschrittene Geräte wie Google.» Hinzu kommt, dass verschiedene Teams mit unterschiedlichen Technologien arbeiten – von supraleitenden Leiterschleifen über neutrale Atome bis zu Ionen und Halbleitern. Auch das erschwert die Reproduktion von Ergebnissen.
Entwickler versuchen den Quantenvorteil zu belegen, indem ein internes Expertenteam den eigenen Algorithmus mit klassischen Methoden zu schlagen sucht – der Entwickler schlüpft in die Rolle seiner Kritiker. Google investierte nach eigenen Angaben zehn Personenjahre, um neun klassische Algorithmen zu testen. So kamen sie zu dem Schluss, dass der Quantenchip «Willow» das Problem 13 000-mal so schnell löst. Das zeige aber immer nur den aktuellen Stand der Forschung, betont Wallraff. «Andere können jederzeit schnellere klassische Algorithmen entwickeln – es ist ein ständiger Wettbewerb.»
Das Experiment soll entscheidenDie wohl verlässlichste Methode, einen Quantenvorteil zu prüfen, ist der Vergleich mit dem Experiment: Im Labor lassen sich Moleküleigenschaften messen. Um die Simulationen auf Googles Quantenchip zu testen, haben Forscher der University of California in Berkeley Abstände zwischen Wasserstoffatomen in zwei organischen Molekülen mithilfe von Kernspinresonanz bestimmt. Sie stimmten mit den von «Willow» berechneten Werten überein.
Allerdings untersuchte das Experiment kleine Moleküle, die sich auch mit konventionellen Rechnern simulieren lassen. Für grössere Moleküle, an denen sich der Quantenvorteil beweisen liesse, ist «Willow» noch zu fehleranfällig.
Für Dieter Kranzlmüller ist der Vergleich mit klassischen Rechnern zweitrangig. Das von ihm geleitete Leibniz-Rechenzentrum bei München hat den Quantencomputer des deutsch-finnischen Startups IQM mit seinem Supercomputer gekoppelt. «Der Supercomputer soll immer dann auf den Quantencomputer zugreifen, wenn dieser überlegen ist», sagt Kranzlmüller – etwa bei quantenmechanischen Teilaufgaben. Zeige sich ein Quantenvorteil, würden bald auch Massstäbe folgen, um ihn präzise zu bestimmen, meint Kranzlmüller.
Er sieht den Wettbewerb als produktiv: «Bisherige Behauptungen eines Quantenvorteils haben oft gezeigt, dass sich auch klassische Algorithmen beschleunigen lassen», sagt der Informatiker. «Allein dadurch, dass wir Grundlagenforschung am Quantencomputer machen, lernen wir viel auch für die herkömmlichen Computer.»
Scott Aaronson sieht es ähnlich. Fehlerkorrigierte Quantencomputer könnten in Zukunft einen Leistungssprung sehr weit über die Fähigkeiten von Supercomputern hinaus ermöglichen. Der heilige Gral ist die Zerlegung grosser Zahlen in Primfaktoren – Grundlage heutiger Verschlüsselung und für klassische Rechner heute praktisch unlösbar. «Wenn das gelingt, haben wir entweder einen massiven Quantenvorteil erreicht», sagt Aaronson, «oder jemand findet eine schnelle klassische Faktorisierungsmethode, die für die Kryptografie und die Mathematik fast genauso revolutionär wäre.»
nzz.ch



