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Medikamente wirken nicht immer gleich. Das müssen wir akzeptieren

Medikamente wirken nicht immer gleich. Das müssen wir akzeptieren

Luliia Burmistrova / Getty

Mein Freund Pierre hat sich nicht verändert. Um ihn zu umarmen, muss ich mich wie immer auf die Zehenspitzen stellen (er ist einen Kopf grösser als ich) und weit ausholen (er ist recht übergewichtig). Mein Kollege T. hingegen, den ich kürzlich auf einem Kongress wiedersah, ist kaum wiederzuerkennen: Der Mittfünfziger, der so gern Fotos von seinen opulenten Grillabenden in den sozialen Netzwerken postete, ist dünn geworden; der deutliche Gewichtsverlust lässt ihn älter erscheinen als zuvor.

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In dieser Kolumne werfen Autorinnen und Autoren einen persönlichen Blick auf Themen aus Medizin und Gesundheit.

Pierre und mein Kollege T. haben eine Gemeinsamkeit. Sie injizieren sich Medikamente, die in den letzten Jahren viel Aufsehen erregt haben. Gemeint sind GLP-1-Rezeptoragonisten; der bekannteste Vertreter dieser Wirkstoffklasse dürfte die Abnehmspritze Ozempic sein. Eigentlich zur Behandlung von Diabetes entwickelt, haben diese GLP-1-RA durch eine sekundäre Wirkung Furore gemacht: Sie zügeln den Appetit und bringen damit vielen Menschen die erhoffte und häufig auch medizinisch notwendige Gewichtsabnahme.

Vielen, aber nicht allen. Beim Kollegen T. ist der Effekt eingetreten, beim zuckerkranken Pierre hingegen nicht. Dafür hat er mit Nebenwirkungen wie Bauchschmerzen und Durchfall zu kämpfen, was bei diesen Medikamenten nicht selten ist. Eine alte Erkenntnis der Pharmakologie wird hier deutlich: Menschen können höchst unterschiedlich auf Medikamente reagieren. Das wird unter anderem durch die Genetik, aber auch durch die Lebensweise bestimmt. Die Bandbreite reicht von wundersam erscheinenden Heilungen bis zu gefährlichen Nebenwirkungen. Oder dem völligen Ausbleiben jeglicher Wirkung.

Die so unterschiedlichen Verläufe bei dem Freund und bei dem Kollegen brachten mich zum Nachdenken. Denn die GLP-1-RA und ihre Nebenwirkungen sind auch in meinem Fachgebiet, der Augenheilkunde, gegenwärtig ein grosses Thema. Die Studien, Beobachtungen, Fallberichte und Kommentare über Sehstörungen nach ihrer Anwendung reissen nicht ab.

Heisse Debatten um widersprüchliche Daten

Die Aufregung begann vergangenes Jahr mit einer Veröffentlichung im Fachblatt «Jama Ophthalmology». Darin wird davon berichtet, dass Patienten mit Diabetes und Übergewicht, die Abnehmspritzen nutzten, ein deutlich erhöhtes Risiko hätten für eine schwere Erkrankung des Sehnervs, eine sogenannte nicht-arteriitische anteriore Optikusneuropathie, kurz NAION.

Die Studie löste ein reges Pro und Contra aus. Nutzer von Abnehmspritzen hätten häufiger eine NAION, bestätigt die eine Gruppe von Forschenden. Nein, hätten sie nicht, entgegnet kurz darauf ein anderes Autorenteam. Beide Seiten präsentieren beeindruckende Patientendaten. Es gebe bei den Anwendern häufiger eine diabetische Schädigung der Netzhaut, schreiben die einen. Die Retinopathie sei seltener, erklären die anderen, und belegen dies ebenso glaubwürdig.

Diese Beobachtung macht einmal mehr deutlich: Wissenschaft ist etwas Dynamisches, das gerade bei neuen Fragestellungen auch widersprüchliche Ergebnisse liefern kann. Das ist nichts Schlechtes, sondern macht sie im Gegenteil erst spannend. Und: Jeder Mensch ist einzigartig. Glücklicherweise. Das gilt auch für die Wirkung von Medikamenten.

Bereits erschienene Texte unserer Kolumne «Hauptsache, gesund» finden Sie hier.

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